Ich, der Star des Konsums

„One selfie, please!“, schallt es mir entgegen. Vier strahlende Gesichter stehen vor mir und schauen mich mit ihren Handys voller Neugierde und erwartungsvoll an. Wir stehen am Strand. Schön sieht es aus, das Meer. Doch beschäftigt bin ich mit indischen Jugendlichen oder Halberwachsenen. Sie wollen ein Selfie mit mir machen. Da sind sie nicht die ersten. Das passiert uns (zehn Freiwillige) ständig. Nicht nur am Meer, sondern auch an vielen anderen Orten, wie z.B. im Restaurant. Man freut sich am Anfang natürlich über diese Frage, es will ja schließlich nicht dauernd irgendeine fremde Person ein Foto mit mir machen. Das passiert sonst nur Brad Pitt oder Selena Gomez.

Doch mit der Zeit stört es einen, denn, wie zum Beispiel am Meer, will man ja auch mal seine Ruhe. Das ist aber nicht das Hauptproblem. Es stellt sich auch die Frage, warum wollen diese Menschen überhaupt ein Foto mit mir machen? Am Anfang dachte ich, es liegt daran, dass die Menschen zum ersten Mal einen Weißen sehen. Auf der Straße sehen viele Inder bestimmt in mir den ersten „Weißen“ ihres Lebens. Doch im Fernsehen, in der Werbung, als Modemodel oder Puppe haben alle Inder schon viele Weiße gesehen. Sehr viele sogar. Nein, nicht nur sehr viele, sondern eher sogar zu viele Weiße. Also kann ich eigentlich nicht so „neu“ für Inder sein. Und falls ich etwas „Neues“ für viele Inder wäre, dann würden Sie eher überraschende und ungläubige Blicke auf mich werfen. Kinder würden höchstwahrscheinlich meine weiße Haut berühren wollen, da sie nicht glauben könnten, dass es so etwas gibt.

Weswegen also wollen so viele junge Inder ein Selfie mit mir machen? Eine Antworte fand ich, als ich vor kurzen mit meiner Freundin skypte. Sie ist auch in Indien und hat vor kurzem einen Kindergarten besucht. Als die Kinder die hellhäutigen Freiwilligen erblickten, rief eins der Kinder aufgeregt: „Toys!“. Warum das? Meine Freundin fragte bei ihrem Koordinator nach und dieser meinte, dass die meisten indischen Kinder Puppen besitzen, die eine weiße Hautfarbe haben. Schon von klein auf bekommen sie also das weiße Schönheitsideal eingetrichtert. Dieses Muster endet leider nicht bei Puppen, sondern zieht sich außerdem durch die ganze Medienbranche. Auffällig ist es vor allem in der Werbung. Da wir uns neue Kleidung für Indien besorgen mussten, besuchten wir eine große Shopping Mall. Dort gab es nun natürlich auch viele Modeplakate. Interessant an diesen ist die Hautfarbe der Models. Männliche und weibliche Models verbindet die „weiße“ oder auf jeden Fall die hellere Hautfarbe. Auch in der Werbung sind vor allem „weiße“ Gesichter zu sehen. In manchen Fernsehsendungen wird der Moderator sogar heller geschminkt. Durch diese Dominanz von weißer Hautfarbe erschaffen die Werbung und die Modebranche ein „weißes“ Vorbild und ein „weißes“ Schönheitsideal in einer Welt von anders farbigen Menschen. Werbung und Modevorgaben versuchen immer die Konsumenten zu beeinflussen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie das Produkt, die Hose brauchen, damit es ihnen besser geht. Das ist wie AXE Werbung, die einem vermitteln will, dass man mit diesem Deo einfach jede rumbekommt und ein Sixpack ist auch gleich noch dabei. Man nimmt sich die Werbung also zum Vorbild und so will man in seinem neuen Hemd genauso gut aussehen, wie das Model, welches man zuvor mit diesem Hemd gesehen hat. Und so bekommen die Menschen hier das Gefühl vermittelt, dass sie nicht so viel wert sind wie „Weiße“, denn nur, wenn du weiß bist, sieht dieses Hemd gut aus. Nur weiße Kinder spielen mit Spielzeug. Und im Fernsehen schminkt man sich weiß, weil man so vermeintlich besser aussieht.