Bald werde ich 21 Jahre alt. Ein Tag zum Feiern! Alle Freunde einladen, Kuchen backen, feiern, Musik hören und Spaß haben. Ein großartiger Tag also? Für mich persönlich auf jeden Fall. Aber auch für die Welt? Für die Welt ist mein Geburtstag eher ein Tag zum Trauern. Ein Jahr mehr wurde sie von mir ausgebeutet und ein Jahr mehr lebe ich glücklich und zufrieden, während andere Menschen für mich leiden.
Aber beginnen wir mal am Anfang, an dem Tag, an dem ich diese Welt betrat. Ich wurde geboren und alles, was ich brauchte, waren ausreichender Schlaf, Nahrung, Körperpflege, Fürsorge und Körperkontakt. Die restliche Welt war mir dabei offensichtlich noch egal und fremde Menschen kümmerten mich nicht. Das Wichtigste war das, was direkt um mich herum passierte. Alles war interessant, musste beobachtet, angefasst oder in den Mund genommen werden. Irgendwann konnte ich dann gehen, rennen und schließlich war dann auch Reden keine Schwierigkeit mehr. Dann kamen Dinge wie Fahrradfahren oder Fußballspielen dazu, danach die Schule, mit neuen Freunden, Ferienlagern, Heimweh, Hausaufgaben. Noch etwas später dann Pickel, Mädchen, Alkohol, Party, Zigaretten, Führerschein, Abitur… Alles spannend, aber nicht so nützlich wie das Ziel der Schule, die Bildung. Nicht jeder mag sie, doch am Schluss sind doch alle ganz froh, dass sie ein wenig Bildung abbekommen haben. Mit der Bildung kommen auch die ersten selbst definierten Werte und Meinungen. Diese führten zu Engagement in der Schule, Organisationen oder Vereinen. Bei mir fing das ganz radikal an, mit der Verweigerung von Essen, in dem sich Palmöl versteckt (das tötet Affen, so Greenpeace). Ich scheiterte aber schon nach kurzer Zeit, da ich bemerkte, dass auch in Nutella Palmöl steckt, und auf das konnte ich auf keinen Fall verzichten! Die Wale dagegen waren schon ein besseres Thema, um sich für etwas einzusetzen, die gab es bei uns in der Familie nicht zu essen und auch sonst nirgendwo, wo ich mich aufhielt. Also habe ich dafür Spenden gesammelt. Auch für die Bäume konnte ich mich ohne Probleme einsetzen, die mochte ich und zum Klettern waren sie auch gut. Also engagierte ich mich bei „Plant for the Planet“, um mit anderen Kindern Bäume zu pflanzen, das machte Spaß und hilft nebenbei gegen den Klimawandel. Mit der Pubertät war mir dann alles aber irgendwie wieder egal, es ging jeden Tag zu Burger King und Markenklamotten tragen, das musste auf jeden Fall sein! Wo die hergestellt wurde, das war erstmal egal, das konnte man leicht vergessen. Regenwald retten habe ich auch probiert, aber leider schmeckte mir Krombacher nicht. Doch die Pubertät konnte meine Ignoranz gegenüber der Realität nicht ewig erhalten, der Gegenspieler Bildung gewann mit der Zeit langsam aber bestimmt die Oberhand. So wurde Wegschauen immer unmoralischer. Der Burger schmeckte immer mehr nach Schuld und Markenklamotten wurden unsympathisch. Einkaufen gehen war damit auch schwerer. Ich begann den Versuch „ethisch“ und „gesund“ einzukaufen, was sich aber als komplett verwirrend herausstellte. Welchem Bio-Siegel darf ich vertrauen, soll ich das Bio Gemüse in der Plastikverpackung kaufen oder lieber billiges Gemüse, dafür aber ohne Plastikverpackung. Und wie soll man gesund einkaufen, wenn in manchen Apfelsäften mehr Zucker enthalten ist als in Cola? Meistens habe ich dann doch einfach das gekauft, auf was ich Lust hatte, da wusste ich wenigstens, das ist falsch, das sollte ich nicht kaufen. Was mit dem Einkaufen im Supermarkt begann, wurde dann schließlich ein Problem bei jeder Art von Konsum. Alles war nur noch ein Attentat gegen Menschen, Tiere und Umwelt. Ich bekam nicht nur das Gefühl Kindern im globalen Süden zu schaden, sondern auch dem Postmann von nebenan oder dem Buchladen um die Ecke. Alles Menschen, denen ich durch Amazon-Bestellungen ein schlechteres Leben bescherte. Spotify und Netflix - Unternehmen, die Künstler ausnützen und das auch noch, weil ich sie dabei unterstütze. Allein durch das Benutzen eines harmlos aussehenden Plastiklöffels bekam ich das Gefühl, gerade das Meer zu verschmutzen. Seit ich in Indien bin, habe ich allein schon dann ein schlechtes Gewissen, wenn ich mir ein Eis kaufe, da ich das Geld für Eis und anderen Luxus ja auch spenden könnte!
Jetzt, nach 21 Jahren, habe ich das große Ganze entdeckt und es gefällt mir nicht. Ich kann mein gutes Leben nur führen, da der Großteil der Menschheit ein viel schlechteres Leben hat. Die Welt hält meinen Lebensstil eigentlich gar nicht aus, würden alle Menschen so leben wie ich, bräuchten wir drei Erden.
Unsere Generation ist über den gesunden Wohlstand hinausgeschossen, unethische Prozesse haben sich in unsere Wirtschaft und in unseren Alltag wie Viren eingeschlichen.
Was soll ich jetzt tun? Soll ich kein Nutella mehr essen, nicht mehr feiern gehen oder gleich im Wald leben? Und wie hoch ist meine Schuld? Ich habe schließlich niemanden dazu angestiftet meine Kleidung von Kindern nähen zu lassen!
Man wurde in diese Welt, in der Gut und Böse existiert, hineingeworfen, in eine Welt, in der nicht jeder gleichbehandelt wird, sondern in eine Welt, in der manche Menschen weniger wert sind als andere. Uns trifft also am Anfang keine Schuld für das Schlechte in dieser Welt. Und dass wir, während wir erwachsen werden, unethische Firmen und Handlungen unterstützen ist auch okay, denn wir wissen davon nichts oder noch zu wenig. Doch werden wir älter steigt damit unsere Verantwortung, es wird unsere Pflicht unser Handeln zu hinterfragen. Schlussendlich muss man sich entscheiden, wie viel Eigeninitiative man ergreifen will, um dem Guten zum Sieg zu verhelfen.
In einer Kolumne von Christian Stöcker las ich letztens, dass es zwei Möglichkeiten gibt, um etwas zu bewegen. Zum einen durch individuelle Entscheidungen und zum anderen durch ein „kollektives Erwachen“. Individuelle Entscheidungen sind dem Autor zufolge ein nutzloses Mittel um etwas zu bewirken, das hätte in der Geschichte noch nie wirklich etwas gebracht. Das „kollektive Erwachen“, eine große Gruppenbewegung, die auf die Straße geht und dadurch die Gesetzgebung beeinflusst, ist der sinnvollere Ansatz nach Stöcker. Der Ansatz von Stöcker ist gut, aber er bringt mir nichts. Auf was soll ich individuell verzichten und für was soll ich auf die Straße gehen und entsteht ein „kollektives Erwachen“ nicht immer durch einzelne Individuen, die ein Vorbild für andere werden? Ist also nicht eigentlich die zweite Möglichkeit von Stöcker das Resultat aus der ersten? Darauf möchte ich im Folgenden eingehen.
Was kann man von einem koksenden Veganer lernen?
Er macht einem klar, dass wir Menschen schnell auf Dinge verzichten, die wir eigentlich gar nicht brauchen. Er hilft Tieren, unterstützt aber gleichzeitig die Drogenindustrie, die jährlich für den Tod von tausenden von Menschen verantwortlich ist. Das macht er entweder, weil er einfach keine Menschen mag oder weil es für ihn leicht ist, auf Fleisch zu verzichten, da man unter Koks eh keinen Hunger hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass er Veganer ist, da er wirklich nur die Tiere verschonen will, ist dagegen gering. Wir verhalten uns alle gerne ethisch, aber den Bereich suchen wir uns dabei meistens ganz bewusst nach unserer Bequemlichkeit aus. Ich zum Beispiel habe mich lieber für Wale eingesetzt, als für den Schutz von Regenwald. Einfach weil ich auf Wal-Fleisch leicht verzichten kann, aber nicht auf Nutella. Aber ist es richtig, nur auf das zu verzichten, was uns leichtfällt, ist dieses Verhalten nicht scheinheilig?
Wie so oft gibt es darauf keine eindeutige Antwort. Einer der wichtigsten Aspekte dabei ist der Reichtum. Menschen aus der Unterschicht sollten auf keinen Fall auf mehr verzichten müssen als die Mittel- und Oberschicht. Ein Mensch, der sich kein Bio-Fleisch oder Bio-Nutella leisten kann, sollte nicht auf den Kauf von Billigfleisch und Nutella verzichten. Die Mittelschicht aber sollte nur noch Bio-Produkte kaufen. Was beide Schichten aber tun können, ist den Konsum von bestimmten Lebensmitteln auf ein gesundes und nachhaltiges Level herunterzufahren. Der Mensch braucht nicht jeden Tag Fleisch.
Auch beim Autofahren sind Mittel- und Oberschicht mehr gefragt, ist es denn nicht möglich einfach mit dem Fahrrad einzukaufen und muss man überall mit dem Auto hinfahren, kann man nicht mal den Zug oder Bus nehmen? Zumindestens einige Menschen in meinem Umfeld würden dies verneinen. Für sie ist Autofahren notwendig, da es ein ganz besonderes Gefühl sei, wenn man die PS unter seinem Hintern spürt und mit 200 km/h über die Autobahn fährt. Solche Aussagen spiegeln wider, wie unsere Gesellschaft das richtige Maß verloren hat. Wir müssen uns besinnen und unseren Konsum zurückschrauben. Der eine ist süchtig nach Koks, der andere nach Luxus, dabei haben wir genug. Da uns aber schnell langweilig wird, wollen wir immer mehr. Ein wenig darüber nachzudenken, wie gut es uns geht, würde uns und der Welt guttun. Wenn wir also die Auswahl treffen, auf was wir verzichten könnten, lasst uns im Kopf behalten, was wir wirklich brauchen und was unnötiger Luxus ist.
Können große Unternehmen machen, was sie wollen?
Wir leben in einer Konsumgesellschaft. Das heißt, dass große Unternehmen unseren Konsum beeinflussen. Aber wir vergessen dabei gerne, dass nicht nur groß Unternehmen uns beeinflussen, sondern wir auch umgekehrt die großen Unternehmen. Warum sonst gibt es bei MC Donalds jetzt Bio-Pommes und einen veganen Burger? So hat nicht nur die Regierung, sondern auch die Gesellschaft (der Konsument) die Verantwortung Unternehmen zu kontrollieren und sie in ihre Schranken zu verweisen.
Welche Konzerne lassen sich durch die Gesellschaft regulieren und welche nicht?
Es gibt Billigfleisch-Anbieter, aber auch Bio Fleisch-Anbieter, beide liefern das gleiche Produkt. Ein Qualitätsunterschied ist zwar vorhanden, aber der ist nicht allzu groß. Anders ist das zum Beispiel bei Facebook, Google oder Amazon. Es handelt sich bei allen drei um Imperien ohne großer Konkurrenz. Das heißt für die Konsumenten ist es mehr als schwierig, eine Alternative zu finden. Dadurch kann der Nutzer das Unternehmen auch nicht beeinflussen ohne einen sehr großen Qualitätsverlust zu erleiden. Um dies zu verdeutlichen, muss man nur Facebook als Beispiel nehmen. Es gibt sicherlich viele Firmen, die mit den Datenschutz-Bedingungen von Facebook nicht zufrieden sind, aber da es keine Alternative gibt, müssen viele trotzdem Facebook nutzen, da sie sonst zu viel Verluste erleiden würden. In diesen Fällen, in welchen Firmen ein Monopol besitzen, muss die Regierung einschreiten. Das Individuum hat hier höchstens die Aufgabe die Regierung auf diese Missstände hinzuweisen.
Was machen, wenn das Individuum nichts tun kann?
Jeder Mensch ist einzigartig. Der eine verspürt eine unglaubliche Zuneigung zu Tieren, der andere könnte ohne Musik nicht überleben. Jeder Mensch hat bestimmte Interessen und für diese sollten wir uns in der Gesellschaft einsetzen. Jeder sollte sich in seinem Leben ein Thema, welches ihn interessiert, heraussuchen und sich in der Politik aktiv dafür einsetzen. Durch seine Arbeit kann er aufdecken, welche Probleme es gibt und diese der Gesellschaft bewusst machen. Man kann das kollektive Bewusstsein formen. Wir können uns also alle ein Thema aussuchen, das uns interessiert, für das wir uns einsetzen und für welches wir etwas bewegen können.
„Für bessere Tierrechte würde ich unterschreiben, aber Menschenrechte sind mir egal!“
Diesen Satz hörte ich letztens, als ich an einem Amnesty Stand Unterschriften für die Haftentlassung eines unschuldigen Menschen sammelte. Es ist total verständlich, wenn man sich mehr für Tiere interessiert, als für Menschen aber man muss deswegen nicht gegen alles andere sein. Wenn man zur Verbesserung der Welt beitragen möchte, muss man für alles offen sein, muss sich für die Welt interessieren, sich jede Meinung anhören. Wenn mir ein Mensch begegnet, der sich entschieden hat, sich für ein Thema, welches ihn interessiert, aktiv zu werden, dann höre ich mir seine Meinung an und wenn sie mir gefällt unterstütze ich ihn. Das muss nicht immer aufwendig sein, eine einfache Unterschrift oder nette Worte reichen oft schon aus. Wenn mir seine Meinung nicht gefällt, dann setzte ich mich für meine persönliche Meinung ein und versuch ihn davon zu überzeugen. Sich die Meinung eines anderen nicht anzuhören, weil man sich z.B. nicht für Menschen interessiert, ist aber der falsche Weg.
Kalter Entzug ist nicht immer die Lösung
Gandhi wurde einmal von einer hilfesuchenden Mutter und ihrem Sohn aufgesucht. Die Mutter bat Gandhi um Rat, da sie ihren Sohn nicht überzeugen konnte weniger Süßigkeiten zu essen. Gandhi bat die beiden, ihn in einer Woche erneut aufzusuchen. Nach einer Woche standen Mutter und Sohn erneut vor Gandhi, welcher den Jungen daraufhin aufforderte, weniger Süßigkeiten zu essen. Der Junge folgte ohne Widerrede. Aber warum folgte der Junge Gandhi, aber nicht seiner Mutter? Nach der ersten Begegnung mit der Mutter des Jungen reduzierte Gandhi in der Woche, bevor er den Jungen wiedersah selbst seinen Süßigkeiten-Konsum, denn man sollte von anderen nur das Verlangen, was man von sich selbst verlangt. Und so kann auch ich nicht verlange, dass jeder nur noch nach den obigen Regeln lebt. Ich bin selbst noch vielen Luxusgütern verfallen, die ich eigentlich nicht bräuchte, sie sind einfach in meinen Lebensalltag eingebrannt und ein kalter Entzug würde mich unglücklich machen. Deswegen versuche ich mit der Zeit auf immer mehr zu verzichten, und meinen Konsum langsam herunterzuschrauben. So kann man sich vornehmen erstmal nur noch dreimal die Woche billiges Fleisch zu kaufen. Dann irgendwann steigt man auf Bio-Fleisch um und kocht damit einmal im Monat etwas Besonderes. So wird etwas, was man als normal empfunden hat wieder zu einem Luxus, den man genießen kann. Nehmen wir uns also Zeit, um unsere Ziele umzusetzen und lassen uns kein schlechtes Gewissen machen, wenn wir in bestimmten Gebieten noch unethisch handeln. Wir wurden süchtig geboren und ein Entzug, der dauert seine Zeit.